Interview mit Dr. Susanne Seyda

Wie sieht die Weiterbildung der Zukunft aus?

Wie sieht die Weiterbildung der Zukunft aus?

Frau Seyda, Sie haben in einer Studie die Rolle der Digitalisierung in der beruflichen Weiterbildung heute und in Zukunft beleuchtet. Was sind die zentralen Erkenntnisse?

Zentrales Ergebnis ist sicher, dass die Digitalisierung ein wichtiger Treiber für die Weiterbildung ist. Unternehmen, die digitale Technologien nutzen, haben einen hohen Weiterbildungsbedarf und betreiben intensiv Weiterbildung. Das hat auch gute Gründe: Denn wenn neue Technologien und Dienstleistungen oder neue Geräte und Produktionsverfahren im Unternehmen eingeführt werden, dann entsteht ein hoher Weiterbildungsbedarf. Mitarbeiter müssen lernen, mit der neuer Software bzw. den neuen Maschinen umzugehen. Deshalb investieren diese Betriebe mehr Zeit und Geld in Weiterbildung.

Viele Unternehmen spüren heute den Druck, sich sehr schnell verändern zu müssen, um allen externen Faktoren, wie eben der Digitalisierung oder der Globalisierung erfolgreich begegnen zu können. Stellen Sie hier auch einen Zusammenhang zum Thema Weiterbildung fest?

Ja, ganz sicher, denn die Digitalisierung ist nicht nur Treiber für Weiterbildung, sie ist auch Ursache. Denn vieles passiert heute gleichzeitig und in einem immer höheren Tempo. Die Digitalisierung verändert Dinge grundlegend und schnell, viel schneller als noch in den Jahrzehnten zuvor. Das schafft eine neue Dynamik, die sich eben auch auf das Thema Weiterbildung auswirkt. 

Das hört sich nach einem Stresstest für Teile der Wirtschaft an...

Viele Unternehmen sind erfahren im Umstellen von Prozessen und Einrichten von neuen Tools, Services und auch ganzen Fabriken. Auch Roboter gibt es nicht erst seit zwei Jahren, sondern seit mehreren Jahrzehnten. Aber in der Vergangenheit fanden Veränderungen langsamer statt. Heute ist das Tempo so hoch, dass es Unternehmen schwerfällt, über einen längeren Zeitraum zu planen. Geschäftsfelder ändern sich, Unternehmen sind agiler – darauf muss die Weiterbildung reagieren.

Ist die Digitalisierung nicht nur Teil des Problems, sondern auch der Lösung?

Aber sicher, die Digitalisierung ist Mittel der Weiterbildung, sei es in Form von E-Learning-Programmen oder anderen digitalen Angeboten, die ganz neue Formen des Lernens hervorbringen. Es geht nicht mehr nur um die Frage, was, sondern auch darum, wie etwas gelernt wird. Und da kommen die digitalen Medien ins Spiel. Alles greift ineinander. Stark digitalisierte Unternehmen lernen häufiger auch digital und machen ihrer Belegschaft mehr digitale Angebote.

Sind Mitarbeiter für dieses neue Szenario gut vorbereitet?

Es kommt darauf an. Die Haltung, also das „digital mindset“, spielt eine große Rolle. Entscheidend ist, wie man die Digitalisierung für sich einschätzt – als Chance, als Gestaltungsmöglichkeit oder als Herausforderung oder sogar Bedrohung.

Wie sollen Unternehmen und insbesondere das Personalmanagement damit umgehen?

Wichtig wird, Mitarbeiter in der Weiterbildung nicht nur mitzunehmen, sondern auch Chancen und Nutzen der Digitalisierung klar hervorstellen. Digitalisierung ist gestaltbar! So, wie wir sie uns in unserem privaten Alltag nutzbar machen, verschafft sie uns auch im Beruf viele Vorteile. Manche, gerade die, die schon lange in ihrem Beruf sind, haben hier natürlich die Angst, dass sie all den Veränderungen nicht Stand halten können. Andere fürchten vielleicht sogar den Verlust ihres Arbeitsplatzes ... Dass durch die Digitalisierung in der Summe mehr Arbeitsplätze wegfallen als neue geschaffen werden, zeigt bisher ja keine Untersuchung. Sicher ändern sich durch die Digitalisierung viele Berufsbilder und Arbeitsprozesse – und genau das ruft dann neuen Weiterbildungsbedarf hervor. Mitarbeiter bekommen oft neue Aufgaben, die nicht mehr zu dem passen, was sie in Ausbildung oder im Studium gelernt haben. Das wird Teil der Herausforderungen am Arbeitsplatz. Die Unternehmen müssen sich fragen: Wie schaffen wir es, unsere Mitarbeiter so fit zu machen, dass sie für die Aufgaben von morgen mit den notwendigen Kompetenzen ausgestattet sind. Und die Beschäftigten sind gefordert, an Weiterbildung teilzunehmen und – wenn nötig – auch eine andere Tätigkeit, vielleicht sogar in einem anderen Unternehmen, aufzunehmen. 

Welche Entwicklungen neben der Digitalisierung sind noch prägend für das Thema Learning?

Vor allem das Lernen bei der Arbeit selbst, also das informelle Lernen, insbesondere mittels digitaler Tools. Wenn man sich also ein Tutorial ansieht, andere digitale Medien nutzt oder per VR-Unterstützung lernt. 
Lernen am Arbeitsplatz beinhaltet aber genauso das soziale Lernen, also, dass man sich von Kollegen Neues erklären lässt und sein Netzwerk zur Weiterbildung nutzt. In diesem informellen Bereich hat sich viel getan. 

Woran liegt das?

Unternehmen achten stärker darauf, dass das Gelernte am Arbeitsplatz auch wirklich gebraucht wird. Gleichzeitig umfasst „Workplace Learning“ eine breite Palette an Maßnahmen: Jobrotation, Coaching oder der Erfahrungsaustausch unter Kollegen gehören dazu, genau wie unternehmensinterne Einweisungen an Geräten und Maschinen. Zudem kann der Wissenserwerb praktisch nebenbei erfolgen, wenn man sich in seinen internen und externen Netzwerken bewegt. Dabei erfährt man viel Neues, das sich zwar nicht immer und direkt 1:1 auf das eigene Unternehmen übertragen, aber durchaus als Denkanstoß nutzen lässt.

Wenn Sie sich die Kompetenzen anschauen, die vermittelt werden – welche stehen hier im Fokus?

Berufliches Fachwissen bleibt das A und O und wird in der beruflichen Weiterbildung am häufigsten vermittelt. Es beinhaltet auch die Kompetenz, mit einer fachspezifischen Software umgehen zu können. Ein Buchhalter benötigt Know-how, um bereichstypische digitale Programme zu bedienen und neue Programme kennenzulernen. IT-Themen und berufliches Fachwissen greifen also immer mehr ineinander. Außerdem werden die Soft Skills wichtiger. Kooperations- und Kommunikationskompetenzen gewinnen an Bedeutung. Das liegt daran, dass die Digitalisierung Prozesse verändert. Arbeit in unterschiedlichen Teams und Projekten spielt heute eine große Rolle. Auf diese sich verändernden Strukturen müssen Mitarbeiter vorbereitet sein bzw. werden.

In den vergangen 15 Monaten hat sich viel verändert – auch im Bereich der Weiterbildung. Wie schätzen Sie den aktuellen Stand ein? 

Einige Formate in der Weiterbildung sind weggefallen, aber viele sind von der Präsenz in die digitale Welt umgezogen. Digitales Lernen wird heute viel stärker gefördert als früher, das ist sehr positiv. Dass die unterschiedlichen Protagonisten auf dem Weiterbildungsmarkt so flexibel reagiert haben, hat auch einen schwerwiegenderen Einbruch in der Weiterbildung verhindert.

Sind wir in der Weiterbildung damit zu einem neuen Modell für die Zukunft gekommen?

Zumindest haben wir gelernt, was gut funktioniert. Präsenz und etablierte analoge Formate werden auch in Zukunft eine Rolle spielen, da sie ihre jeweiligen Vorteile haben. Genauso haben wir die Chancen und Vorteile von digitalen Angeboten zu schätzen gelernt – es wird also jetzt darauf ankommen, die jeweiligen Angebote, Formate und Medien mit ihren individuellen Vorteilen perfekt aufeinander abzustimmen.

Und die Digitalisierung? Wird sie sich stärker durchsetzen also einen stärkeren Schwerpunkt bekommen?

Indem Unternehmen in der Krise Vieles ausprobiert haben, ist die Hemmschwelle für digitales Lernen gesunken. In dieser Hinsicht war die letzte Zeit ein echter Booster. Firmen haben die Erfahrung gemacht, dass mehr Dinge digital funktioniert, als sie erwartet hätten. Der Anteil an digitalen Formaten wird nicht grenzenlos steigen, aber sicher wird es hier noch einen Anstieg geben. 

Wie gut sind Unternehmen darauf vorbereitet, E-Learning Angebote qualitativ einzuordnen und auszuwählen? 

Ziemlich gut. Wir dachten zunächst, Unternehmen seien mangels Erfahrung zurückhaltend. Die überwiegende Mehrheit findet es aber genauso leicht oder sogar ein wenig leichter als bei klassischen, analogen Weiterbildungsangeboten. Ich war überrascht, wie sicher sich Betriebe in Sachen E-Learning fühlen und wie gut sie den Markt im Blick haben. Das ist ein sehr gutes Zeichen!

Was schlussfolgern Sie daraus?

Oft hört man, man müsse den Weiterbildungsmarkt transparenter gestalten, er sei so unübersichtlich, dass sich keiner mehr zurechtfinde. Unsere Befragungen bestätigen das nicht. Unternehmen haben viel Erfahrung mit Weiterbildung, verfügen über Netzwerke und geben untereinander Empfehlungen ab. Daraus entsteht ein gutes Gesamtbild. Sofern man weiß, welche Inhalte und Kompetenzen eine Weiterbildung vermitteln soll, ist es auch im E-Learning kein Problem mehr, den passenden Anbieter auszuwählen.

Wie wird es im Bereich der betrieblichen Weiterbildung aus Ihrer Sicht weiter gehen? Gibt es zentrale Erfolgsfaktoren für das Gelingen von Weiterbildung? Oder was raten Sie Unternehmen?

Entscheidend ist aus meiner Sicht die strategische Komponente, also dass ein Abgleich der Kompetenzen stattfindet, über die Mitarbeiter bereits verfügen, mit den Kompetenzen, die in Zukunft für den Unternehmenserfolg benötigt werden. Dafür braucht es Überblick und gezielte Analyse - letztlich also die klassische und ganzheitlich ausgerichtete Personalentwicklung. Gerade in kleineren Unternehmen, die keine große Personalabteilung haben, ist das eine große Herausforderung. 

Wir leben einerseits in einer sich schnell verändernden VUCA-Welt, gleichzeitig müssen Unternehmen planen, welche Kompetenzen in welcher Qualität und Quantität sie in den nächsten drei bis vier Jahren benötigen, um erfolgreich zu sein und so sicherstellen zu können, dass sie die Mitarbeiter auch individuell in den richtigen Bereichen weiterentwickeln. Wie gehen Unternehmen mit diesem Widerspruch um?

80 Prozent der Unternehmen gehen davon aus, dass sich Tätigkeiten verändern werden. Aber nur 40 Prozent betreiben eine systematische Personalplanung, welche die kommenden Jahre ins Auge fasst. Hier tut sich eine große Lücke auf. Unternehmen sind heute schon sehr aktiv in der Weiterbildung. Der nächste Schritt ist nun, dieses Wissen auf eine strategische Ebene zu heben, in eine Gesamtstrategie einzubinden und fokussiert zu handeln. Bei vielen Kompetenzen herrscht großer Fachkräftemangel. Diese Kompetenzen lassen sich auf den Markt teuer einkaufen – oder eben selbst entwickeln.

Frau Seyda, vielen Dank für das Gespräch.

 

Über Dr. Susanne Seyda

  • Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln & an der Ruhr-Universität Bochum
  • Seit 2002 im Institut der deutschen Wirtschaft in Köln tätig
  • Senior Economist für Fachkräftesicherung & Weiterbildung
  • Betreut die jährliche Weiterbildungserhebung und das Kompetenzfeld: Berufliche Qualifizierung & Fachkräfte

 

 

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