GuideCom und Siemens Energy

Christoph Kunz im Gespräch über die Transformation des Ausbildungsmanagements

Interview: So transformiert Siemens Energy die Ausbildung

Die Ausbildung befindet sich im Wandel. Neue Anforderungen und Bedürfnisse der zukünftigen Nachwuchskräfte sowie äußere Einflüsse wie der Fachkräftemangel zwingen Unternehmen dazu, die Ausbildung neu zu denken. Christoph Kunz, Global Head of Vocational Training and Education bei Siemens Energy, gibt Einblicke, wie er mit seinem Team diese Transformation gestaltet.

Herr Kunz, die Anzahl der Auszubildenden sinkt seit Jahren konstant. Wie beurteilen Sie in diesem Kontext die Attraktivität der Ausbildung in Deutschland?

Das deutsche Ausbildungssystem ist in meinen Augen nach wie vor sehr gut und attraktiv. Es steht für eine hohe Qualität in den Kompetenzfeldern, der Fachlichkeit, Sozialkompetenz, Methodenkompetenz und auch immer mehr der Individualkompetenz. Die Herausforderung ist das Bild der beruflichen Ausbildung in der Gesellschaft. 

Inwiefern?

Aufgrund der Demografie gibt es immer weniger junge Menschen, von denen sich momentan immer mehr für einen akademischen Ausbildungsweg entscheiden. Das dadurch entstehende, massive Ungleichgewicht zwischen akademischer und beruflicher Bildung ist eine der größten Herausforderungen, um das deutsche Ausbildungssystem weiterhin attraktiv zu halten. 

Gibt es Faktoren, die aus Ihrer Sicht besonders zur Entscheidung der jungen Talente für ein Studium und gegen eine Ausbildung beitragen?

Die Eltern – unsere Sekundärzielgruppe – spielen eine große Rolle. Wir erleben oft, dass junge Menschen Lust hätten, in eine Ausbildung bei uns zu starten, im Kreise der Familie aber die Tendenz besteht, nach der Realschule noch das Abitur zu machen, um den akademischen Weg einschlagen zu können. Aussagen wie der Sohn oder die Tochter mache „nur“ eine Ausbildung sind in dem Zusammenhang nicht selten, was eine abwertende Note hat. Das finde ich schade, weil unser Bildungssystem so offen ist und jungen Menschen mit einer beruflichen Ausbildung attraktive Karrierechancen sowie einen tollen Einstieg ins berufliche Leben bietet. Danach stehen ihnen alle Türen offen – auch der akademische Weg. Denn man braucht heutzutage kein Abitur zum Studieren. Mit einem IHK-Abschluss, drei Jahren Berufserfahrung und einem Realschulabschluss hat man ebenfalls eine Hochschulzulassung. 

Ich hoffe, dass wir gemeinsam mit der Bildungspolitik und Verbänden das Image der Ausbildung bei den jungen Menschen wieder attraktiver machen können und vor allem auch bei denen, die die Talente am meisten mit beeinflussen: den Eltern. So könnten wir dem momentanen starken Bedarf an Nachwuchskräften ein Stück weit entgegenwirken. 

Ist die Ausbildung demnach auch ein wichtiger Hebel gegen den Fachkräftemangel?

Ja, ich denke schon. Es gibt einen massiven Fachkräftemangel momentan – in allen Bereichen. Wir haben oft Probleme, unsere Aufträge zu fertigen, weil uns Fachkräfte fehlen. Vielen Unternehmen geht es ähnlich. Das bedeutet nicht nur eine hohe Gefahr für die Produktivität, sondern auch für die Wirtschaftlichkeit in Deutschland. Denn was ist die Konsequenz? Die Fertigung wird in andere Länder ausgelagert. Ist dieser Schritt erst einmal gegangen, wird es schwierig, ihn zu revidieren. Deshalb hoffe ich, dass wir mit allen Beteiligten eine Lösung finden, um die Ausbildung wieder attraktiver zu machen. So könnten wir den Fachkräftemangel zumindest kurzfristig kompensieren, wenn die Nachwuchskräfte ausgelernt sind. Sicher wird er dadurch aber natürlich auch nicht gelöst, da der Mangel einfach zu groß ist. 

Was sind neben dem vergleichsweise schlechten Image aus Ihrer Sicht die Hauptherausforderungen, vor denen Unternehmen beim Thema Ausbildung aktuell stehen?

Die Ausbildung ist für mich in einem radikalen Wandel. Die Generation Z vertritt andere Werte als die Vorgängergenerationen. Diese sind weder gut noch schlecht, sondern einfach anders und darauf müssen wir uns als ausbildende Betriebe einstellen. Zudem erleben wir in der Ausbildung sehr kurze Technologie- und Innovationszyklen. Das heißt, es drängen weitere Inhalte in die Ausbildung, weil junge Menschen natürlich mit den passenden Kompetenzen ausgestattet werden müssen, um für unsere internen Kunden attraktiv zu sein. Zudem haben wir nach wie vor die digitale Transformation, die sich ebenfalls stark auf Unternehmen und die benötigten Kompetenzen von jungen Menschen auswirkt. Gleichzeitig müssen wir aber auch die Anforderungen aus der Ausbildungsverordnung erfüllen. In diesem Zusammenhang ist die Pädagogik ein wichtiger Faktor. 

Sie meinen die Vermittlung des benötigten Wissens?

Ja, junge Menschen lernen komplett anders. Wir haben Lernangebote auf dem Markt, die das Thema Digital Learning als die Lösung von allem präsentieren – also das Lernen mit Devices oder das Lernen mit Plattformen. Das sehe ich anders. Über 80 Prozent der Generation Z lernt gerne im Team mit anderen Menschen. Unsere Erfahrung und auch wissenschaftliche Studien zeigen, dass nicht nur die Potentialentfaltung, sondern auch der Spaß am Lernen am größten ist, wenn man mit anderen zusammen lernt. 

Junge Menschen kommen jedoch aus einem Schulsystem, das wie vor 40 Jahren funktioniert. Das war für die damaligen Generationen vielleicht passend, aber nicht mehr für die jungen Menschen von heute. Herr Dr. Hüter hat einmal gesagt: „Gute Noten in der Schule sind eher ein Zeichen für Anpassungsfähigkeit als für Intelligenz.” Das würde ich genauso unterschreiben. Deshalb sind wir auch dabei, unsere Methodik und Didaktik den jungen Menschen anzupassen und versuchen nicht, unseren Nachwuchskräften das System von vor 20 Jahren aufzudrücken. 

Christoph Kunz, Global Head of Vocational Training and Education bei Siemens Energy

„Es braucht einen Mindset- und Kulturchange für eine erfolgreiche Ausbildung.“

Christoph Kunz, Global Head of Vocational Training and Education bei Siemens Energy
Mit welchen Ansätzen versuchen Sie bei Siemens Energy diesen Herausforderungen zu begegnen?

Wir haben uns eng damit auseinandergesetzt, was junge Menschen wollen. Anschließend haben wir angefangen, unsere wertschöpfenden Prozesse diesen Bedürfnissen anzupassen. In vielen kleinen Pilotprojekten haben wir geschaut, wie die jungen Menschen am besten lernen, wie sie am meisten Spaß haben und ihre Potenziale und Leidenschaften entwickeln können. Und wir konnten sehen, dass es ihnen häufig nicht um monetär getriebene Dinge geht, sondern um die Sache selbst: Wenn sie ihr Herzblut reinstecken können und Feedback erhalten, dann findet eine tolle Entfaltung statt, mit viel Energie und Freude für das Thema. 

Welche Rolle spielt in diesem Kontext der Ausbilder bei Siemens Energy?

Genau wie in der Schule erlebt man in der Ausbildung bisher starke, hierarchisch geprägte Organisationsstrukturen, bei denen der Ausbilder wie ein Lehrer fungiert. Aber auch da sehen wir, dass das nicht unbedingt zu den jungen Menschen passt. Lernen auf Augenhöhe ist jedoch ein Kulturwandel.

Das heißt, die Rolle des Ausbilders ändert sich enorm, weil er nicht mehr als der Allwissende vorne steht, sondern er integriert sich in ein Team. Er geht viel mehr in die Coaching-Rolle mit einem starken Blick auf das Individuum. Das ist ein Mindset-Thema, ein Kultur-Thema. Das kann man allerdings nicht von heute auf morgen verändern. Das ist ein Prozess.

Und das ist neben dem pädagogischen Element die zweitgrößte Herausforderung, von der ich glaube, dass sie sehr wichtig sein wird, damit junge Leute sich wohlfühlen und eine Arbeitsumgebung haben, in der sie sich in der Ausbildung entfalten können. 

Wie messen Sie den Erfolg Ihrer neuen Maßnahmen?

Im Bereich Bewerbermarketing und Recruiting können wir den Erfolg relativ leicht messen. Wir fragen junge Menschen, wie sie auf uns aufmerksam geworden sind und wie sie unsere Außenwahrnehmung fanden. Mithilfe der Hit Rate können wir jetzt auch einfach messen, wie viele Bewerbungen wir brauchen, um eine Stelle zu besetzen. Das ist sehr faktenbasiert. 

Und bei den weniger faktenbasierten Bereichen?

Im Ausbildungsprozess wird es herausfordernder. Wir legen bei den Einstellungen momentan keinen Wert auf Noten. Bei uns stechen die Themen Leidenschaft, Emotion und Potential, was wir in der Ausbildung zur Entfaltung bringen wollen, jedes Zeugnis aus – außer bei dual Studierenden, wenn es einen Numerus Clausus gibt. Dementsprechend schauen wir auch in der Ausbildung nicht primär auf die Noten. Stattdessen messen wir beispielsweise die Fluktuation in der Ausbildung und wie viele Abbrecher wir zwischen dem ersten und dem letzten Ausbildungstag haben. Derzeit haben wir eine Tendenz von zehn Prozent Verlustquote. Außerdem messen wir, wie viele junge Menschen die Probezeit bestehen – nicht nur fachlich, sondern auch menschlich. Aber auch, wie das Feedback im Anschluss ist: Sind die Talente motivierter? Bringen sie mehr Wissen mit? Gehen sie mutig auch mal neue Wege und kreative Lösungen an?

Haben Sie schon erste Antworten aus den Pilotprojekten auf diese Fragen?

Noch nicht, da wir eigentlich jetzt erst begonnen haben zu pilotieren und die Ausbildung in der Regel ja dreieinhalb Jahre dauert. Diese Pilotphase wird wissenschaftlich begleitet. Wir erheben Daten nach verschiedenen Abschnitten in der Ausbildung. Wenn wir hier eine positive Tendenz wahrnehmen, dann rollen wir diese Maßnahme bundesweit in jedem unserer Trainingscenter aus. Aber wirklich valide Aussagen werden wir erst treffen können, wenn wir drei bis vier Jahre in der Umsetzung sind. 

Welche Tipps können Sie anderen Ausbildungsverantwortlichen noch mit auf den Weg geben?

Für mich gibt es zwei großen Hebel: Zum einen die Organisation vorzubereiten; hier ist es wichtig, über das Mindset und die Kultur zu kommen und verständlich zu machen, warum das Ganze wichtig für das Unternehmen ist. Denn es bringt nichts, wenn man Strukturen und Prozesse ändert, aber es nicht gelebt wird. Und das wiederum funktioniert nur, wenn das „Warum“ verstanden wird. Zum anderen von außen nach innen zu führen, also „Leading Beyond the Edges“, um sich wirklich zu öffnen und dann innerhalb des eigenen Ökosystems entsprechend Strukturen und Prozesse anzupassen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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