Interview mit Wilfried Groos, Sparkasse Siegen

Wie müssen sich die Geldhäuser der Sparkassen-Finanzgruppe verändern und was bedeutet das für die Beschäftigten?

Kleine Abweichungen können fatale Folgen haben


Die konsequente Umsetzung von Standards werden für die Marktfolge immer mehr zum Schlüssel des Erfolgs. Wilfried Groos, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Siegen, erklärt, wie sich die Geldhäuser der Sparkassen-Finanzgruppe verändern müssen und was das für die Beschäftigten bedeutet.

Wie sieht das aktuelle Umfeld für Sparkassen aus?

Vor allem wandelt es sich immer schneller. Das Geschäft ist stark wachstumsgetrieben, was Transaktionen und Volumen angeht. Der Kunde möchte selbst entscheiden, welche Angebote und Services er über welchen Weg wahrnimmt. Beispiele: Es werden keine Kontoauszüge mehr von Hand ausgegeben, viele Belege wurden manuell aufbereitet und verarbeitet, wir haben heute nur noch wenige Kassierer. 

Was bedeutet das für die Beschäftigten, gerade in der Marktfolge?


Die Standard-Marktfolge wird genauso der Digitalisierung weichen wie die Service- und Kassentätigkeit. Insgesamt arbeiten bereits heute deutlich weniger Beschäftigte in Bereichen, die nicht zum Vertrieb zählen. Bei der Sparkasse Siegen haben noch vor 10 Jahren nur ca. 20% im Vertrieb gearbeitet, aktuell sind es schon ca. 40%. Bei einer sinkenden Anzahl an Beschäftigten insgesamt, konnten wir also die Anzahl der Beschäftigten im den Bereichen, die nicht zum Vertrieb zählen, deutlich senken und gleichzeitig im Vertrieb aufbauen. Und diesen Weg werden wir auch weiterhin fortsetzen. 

Sie haben die „Betriebsstrategie der Zukunft” mitentwickelt: ein Leitbild, mit dem der Verwaltungsaufwand der Sparkassen deutlich gesenkt werden soll. Wie muss sich eine moderne Sparkasse heute aufstellen?

 
Ich sage es mal so: In den 80er Jahren war eine Sparkasse eine Verwaltung mit angehängtem Bürgerbüro. Und auch vor zwanzig Jahren steckten gerade einmal 10 bis 15 Prozent der Kapazitäten im Vertrieb. Heute sollten in einer modernen, kundenzentrierten Sparkasse mindestens die Hälfte der Beschäftigten im Vertrieb, am Kunden arbeiten. Das heißt für einen dreiköpfigen Vorstand: Zwei sollten sich um den Vertrieb kümmern, einer um den Betrieb, der sich vermehrt auf Standards stützen kann. 

Warum sind die Standards in der Marktfolge so wichtig?


Um Technologien wie künstliche Intelligenz und verstehendes Lesen zu nutzen, brauchen wir ein bestimmtes Maß an Standards. Die Art, mit der wir die Dinge bislang gemacht haben, ist nicht geeignet, um einen echten Schub an Standardisierung zu bekommen. Keiner würde auf die Idee kommen, diese Prozesse als ideal zu bezeichnen.


Wo lag oder liegt das Problem?


Die technische Administration war lange in jedem Haus anders. Doch der Mehrwert, den ich vor Ort schaffen kann, liegt nicht mehr darin, wie ich ein Standardprozess schreibe – und ob ich das einen Tacken besser oder schlechter mache. Um Technologien wie die künstliche Intelligenz zu nutzen und mit ihr Skaleneffekte zu erzielen, muss die technische Administration in jedem Haus dieselbe sein. Aber es hat gedauert, bis die Bereitschaft da war, etwas zu ändern. Mit der Betriebsstrategie der Zukunft greifen wir tief in die lieb gewonnenen Pfründe hinein. 

Gab es hier auch Gegenwind bei der Umsetzung?


Es gab natürlich Beharrungsvermögen. Manche Mitarbeiter haben das als Kritik an ihrer Arbeit aufgefasst – was ja gar nicht so gemeint war. Es wurde auch moniert, dass wir ein noch laufendes System verließen, ohne die Konturen des neuen richtig zu beschreiben. 

Wie lange hat das gedauert?


Fünf, sechs Jahre. Man will die Gruppe ja als Ganzes mitnehmen. Jetzt sind wir an einem Punkt, wo noch nicht alle, aber schon sehr viele sagen: Genau so müssen wir es machen! Wir werden einen erheblichen Schub an Effizienz bekommen. Aber es wird noch ein paar Jahre dauern bis alles greift. 

Wie sollten Sparkassen ihre Prozesse, auch in der Marktfolge, denken?


Wir müssen standardisieren und vereinfachen. Und: Künftig müssen wir die Prozesse vom Vertrieb her beginnen. Das Ziel wäre: Immer mehr Prozesse werden als sogenannter Opt Out fertig mit dem Release eingeführt. Das heißt: Wenn eine Sparkasse nicht widerspricht, ist die neue Anwendung da, mit allem was dazugehört. 

Was ist dafür nötig?


Man muss das ganze System verändern. Es reicht nicht, nur eine Sache anders umzusetzen. Es sollte vielmehr so aussehen, dass es eine zentrale Einheit gibt, die weiß, wie die schriftliche Ordnung geändert werden muss und die alle so auf ein  System bringt. Die Häuser und ihre Mitarbeiter sind vorbereitet, ebenso wie die Organisation des Prozesses. Wenn das erreicht ist, haben wir eine größere Konformität und damit Synergien in den Sparkassen, aber auch in der Gruppe insgesamt. Derzeit laufen Anwendungen über Jahre parallel. Wenn die ersten schon wieder auf dem Sprung sind, fangen die Letzten gerade an. 

Wo können die Sparkassen stehen, wenn die neue Betriebsstrategie ihre volle Wirkung entfaltet?


Was die Standards angeht, kann die Gruppe dann konform direkt von einer in die andere Anwendung gehen. Das hat erhebliche wirtschaftliche Effekte – sei es beim Marketing oder in der rechtlichen Betreuung. Und damit ist ja erst die Grundlage gelegt, um künstliche Intelligenz zu nutzen. Mit dieser können wir 20-30.000 Arbeitsplätze einsparen, die heute noch in der Standard-Marktfolge benötigt werden. Wir können vor allem effizienter organisieren und produzieren. Den Gesamteffekt schätze ich auf über 100 Mio. Euro.

Sparkassen stehen auch für gesellschaftliche Verantwortung. Wie blicken Sie auf das Thema Outsourcing?


Outsourcing hat nur einen wirtschaftlichen Effekt, wenn jemand die Arbeit anders macht. Aber: Die Sparkassen brauchen eine personalwirtschaftliche Ergänzung. Das Ziel muss sein, 60 bis 70 Prozent der Standard-Marktfolgeprozesse standardisiert „front-to-end” zu bearbeiten. Das wäre das Beste und Effizienteste – und dann müssten wir überhaupt nicht outsourcen. Wir müssen die Prozesse in einer Geschäftsstelle automatisieren und harmonisieren – egal welchen Weg der Kunde wählt, also egal ob über das Internet, das Service Center oder den stationären Vertrieb. Wir brauchen moderne zeitgemäße Oberflächen über die verschiedenen Kanäle. Und das bedeutet: Kein Outsourcing, sondern eine Überführung in die Endverarbeitung. 

Was bedeutet das für die Produktionsgesellschaften?

Ich glaube, sie werden sich in den nächsten Jahren dramatisch verändern: hin zur Spezialität, weg von der Standard-Marktfolge. 

Sie treiben die Betriebsstrategie der Zukunft schon lange voran. Was sind wichtige Learnings? 

Vor allem darf man im Begriff „Standard” nicht eine schlechte Lösung oder den preiswertesten Prozess sehen. Ein Standard ist der gemeinsame Nenner, der wirklich gebraucht wird und in 70 bis 80 Prozent der Anwendungsfälle greift. Der Standard muss die Realität harmonisch abbilden. Die Lebenswirklichkeit wird sich nicht nach Prozessen richten. 

Was bedeutet das für die Führungskräfte?

Am Anfang hat die Finanz Informatik viel Individualität zugelassen. Die Folge: Heute haben wir einen Wust an unterschiedlichen Administrationspunkten. Die müssen wir Schritt für Schritt zusammenführen. Wir Vorstände müssen sehr konsequent darauf achten, dass kleine Abweichungen fatale Folgen haben können. Auch gegenüber starken Bereichs- und Abteilungsleitern muss man klarmachen: Eine Sonderlocke, bei der links oder rechts etwas anders gemacht wird, schafft am Ende meist keinen Mehrwert. 

Welche Beschäftgten benötigt die Sparkasse von morgen?

In Siegen stellen wir seit zehn Jahren nur noch Mitarbeiter oder Auszubildende mit Vertriebsbereitschaft oder -kompetenzen ein. Wenn ich sie in der Marktfolge brauche, dann nicht in der Standard-Marktfolge, sondern für die individuellen Bereiche oder komplexen Fragen. 

Wo setzt der Kunde aus Ihrer Sicht auf die Sparkasse – heute und morgen? 

In allen Bereichen, die eine Vertrauensbeziehung voraussetzt, zum Beispiel eine Baufinanzierung, würde der Kunde nie zu Google oder Amazon gehen. Da setzt er auf die Sparkasse. Anders ist es bei prozessualen Dingen des täglichen Lebens. Da ist die entscheidende Frage: Wer macht mir das Leben einfacher? Der Kunde will nichts lernen, er will es so intuitiv wie möglich haben. Das ist die Qualität der Zukunft. Und dieses Gen müssen wir noch stärker einatmen.

Muss sich der Blick auf den Kunden ändern? 

Ja, wir müssen unser Verhältnis zum Kunden neu interpretieren. Nötig ist keine Konto-, sondern eine Bankbeziehung. Beim Konto wird heute sehr stark differenziert, jede einzelne Transaktion abgerechnet. Doch das ist die alte Welt. Der Kunde zahlt nicht für unsere Kosten, sondern für den Mehrwert – und der geht weit über den Zahlungsverkehr hinaus. 

Wie kann dieser Mehrwert aussehen?

Die Sparkassen müssen ihre Rolle neu in Richtung eines finanziellen Partners interpretieren. Mit bestimmten Konto-Paketen könnten wir einen Mehrwert an Sicherheit und Service bieten. Die Sparkasse ist einer der wenigen Anbieter, die ihren Kunden eine Cloud anbietet. Dort könnten wir Versicherungsverträge, für die Steuererklärung vorbereitete Kontoauszüge, Gesundheitsdaten, sogar ein Testament ablegen. Denn: Zur Sparkasse haben Menschen Vertrauen, auch was den Umgang mit Daten angeht. 

Vielen Dank für das Interview!

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