Interview mit Sebastian Holtze, PWC & DBU

Wie Re- und Upskilling zum Game Changer wird. Wenn man es richtig macht.

Wie Re- und Upskilling zum Game Changer wird. Wenn man es richtig macht.

In der Arbeitswelt von morgen braucht es neue Kompetenzen. Soweit „nichts Neues im Westen“. Jedoch zeigt sich zunehmend: Eben diese Kompetenzen erhalten Unternehmen nicht nur durch Neueinstellungen, sondern auch durch gezieltes Re- und Upskilling. Einen der wichtigsten Hebel gegen Personalengpässe haben Sie somit in der eigenen Hand. Ein echter Game Changer? Warum das so ist und wie Unternehmen eine erfolgreiche Lernkultur etablieren können, darüber haben wir mit Sebastian Holtze, Director bei PWC und Managing Director bei der DBU Digital Business University of Applied Science, gesprochen.

Herr Holtze, welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht das Re- und Upskilling der eigenen Mitarbeitenden für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen?

Unternehmen stehen aktuell vor einer Vielzahl von Herausforderungen: Das Ende der Pandemie, der Ukraine-Krieg, gestörte Lieferketten. Und dennoch ist auch ein anderes Thema omnipräsent: Der immer weiter steigende Fachkräftemangel. Egal mit welchem Kunden ich spreche, egal in welcher Branche – alle suchen händeringend Leute. Mich überrascht dabei, dass viele Unternehmen als Lösung für dieses Problem immer noch auf Neueinstellungen und Effizienzsteigerung setzen. Themen wie Mitarbeiterbindung oder Re- und Upskilling werden dagegen eher stiefmütterlich behandelt. 

Inwiefern?

Wir haben häufig ein sogenanntes "Talking-Action-Gap“. Im Unternehmen wird viel darüber gesprochen, was man alles gedenkt zu tun und tun möchte. Es dauert jedoch sehr lange, bis dann wirklich etwas passiert. Die Gründe sind meist die gleichen: fehlende Budgets, zu wenig zeitliche Ressourcen, teilweise sogar fehlende Personalentwicklungsabteilungen. Denn viele Mittelständler, die zuletzt unglaublich gewachsen sind, haben nur eine überschaubare Personalabteilung. Am Ende sind allerdings immer Menschen der entscheidende Faktor wenn Transformationen und Krisen erfolgreich gemeistert werden wollen. Effizienz, Technologie und Neueinstellungen allein werden die Situation nicht richten. 

Wie können Menschen hier den entscheidenden Unterschied machen?

Es geht darum, systematisch zu analysieren, welche Kapazitäten und Fähigkeiten ich aktuell im Unternehmen habe, welche ich in der Zukunft brauche und wie ich meine Mitarbeitenden kontinuierlich weiterbilden kann, um diese auf- und auszubauen. Viele wissen gar nicht, was ihre Mitarbeitenden alles können. Und auch wenn sie noch nicht den „Perfect Fit“ haben, können Unternehmen bei diesen Personen neue Skills und Fähigkeiten freisetzen, indem sie Transparenz schaffen und sie an einer anderen Stelle einsetzen. Das wird aus meiner Sicht entscheidend sein, um dem immer größeren Personalengpass entgegenzuwirken. 

Besonders vor dem Hintergrund des zunehmenden Wegfalls der Babyboomer wird Transparenz sicherlich ebenfalls eine große Rolle spielen? 

Absolut. Im Rahmen des demografischen Wandels werden Unternehmen hier unglaublich viel impliziertes Wissen verlieren. Immerhin 35 Prozent aller Arbeitsnehmenden sind aktuell über 55 Jahre alt. Viele Unternehmen werden die Erfahrung machen, dass es zu relevanten Prozessen keine Dokumentation gibt, Maschinen intuitiv gewartet wurden und das Wissen darüber sprichwörtlich in Rente gegangen ist. Denn am Ende ist eben doch jede:r Mitarbeitende wichtig für das Unternehmen, auch wenn das auf den ersten Blick vielleicht nicht den Anschein macht. Nachfolgeplanung ist daher auch ein wichtiger Teil des Re- und Upskillings. Auch das ist ein Aspekt, der aktuell noch viel zu wenig in Unternehmen stattfindet. 

Wie können Unternehmen aus Ihrer Sicht den optimalen Prozess zum Aufbau eines Skills Managements gestalten? Sowohl für den Kompetenzaufbau als auch die Nachfolgeplanung? 

Zunächst gilt es, das Thema überhaupt auf der strategischen Agenda zu haben. Unternehmen benötigen eine aktuelle Bedarfsanalyse, die in Verbindung mit Unternehmens- und Digitalstrategie zeigt, wo Baustellen mit Blick auf die Fähigkeiten von Organisation und Mitarbeitenden liegen. Die Erkenntnisse können dann über eine Heat Map bewertet und so auch Bedarfe abgeleitet werden. 

Das Wichtige ist: Ein gutes Skills Management meint vor allem einen Prozess – gern digital unterstützt – der dauerhaft stattfinden muss. Hier müssen Unternehmensstrategie, Personalstrategie und Personalentwicklung eng verzahnt ineinandergreifen. Daran anknüpfend können dann sehr individuelle Upskilling-Programme entwickelt werden.

Wie schaffen es Unternehmen, dabei individuell auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Mitarbeiters einzugehen? Oder ist dieser Ansatz nicht zu empfehlen?

Das hängt von der Unternehmensgröße ab. Denn ab einer gewissen Größe ist es schwierig, wirklich die Bedürfnisse und Fähigkeiten jedes einzelnen Mitarbeiters ganz genau zu überblicken und für jeden einen ganz eigenen Lernweg abzuleiten. Ich halte das auch nicht für sinnvoll. Wir würden in so einem Fall daher einen pragmatischen zweistufigen Ansatz wählen:

In der ersten Stufe geht es darum, die Fähigkeiten zu identifizieren und aufzubauen, die wirklich alle Mitarbeiter benötigen, beispielsweise im Bereich der digitalen Kompetenzen. Jeder sollte also im Umgang mit gewissen Grundtechnologien befähigt werden und verstehen, welche Vorteile sie dem Unternehmen bringen. Hier geht es also auch viel darum, das „Warum“ zu verstehen. Warum werden bestimmte Technologien eingesetzt, wofür und was habe ich als Lerner persönlich davon.

In der zweiten Stufe schauen wir dann, wo es vertiefende Lernmaßnahmen braucht, um einzelne Profile in eine bestimmte Richtung weiterzuentwickeln. Hierfür sollte man Mitarbeitenden dann verschiedenen Kategorien mit entsprechenden Schwerpunkten zuordnen. 

Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Drei Ansätze haben sich hier bewährt. Zum einen kann es Sinn machen, Rollenprofile zu definieren, mit denen sich Typen von Mitarbeitenden differenzieren lassen – bspw. die „Innovatoren“, die Sachorientierten, die Anführer. Ein anderer Ansatz ist eine funktionsspezifische Ausdifferenzierung – beispielsweise in Kategorien wie „Datenexperte“ oder „Vertriebsexperte“, denen die Mitarbeitenden dann unabhängig von der Abteilung zugeordnet werden. Ein dritter Ansatz ist die Clusterung nach Erfahrungen. Mit Blick auf digitale Fähigkeiten hätte man dann beispielsweise die Ausbaustufen Basic, Advanced und Expert. Wer in welche Kategorie fällt lässt sich hierbei sehr zuverlässig über ein kurzes Assessment herausfinden. Danach werden dann je Gruppe individuelle Lernreisen konzipiert. 

Wichtig: Alle eingeführten Maßnahmen und Veränderungen müssen regelmäßig geprüft und bei Bedarf angepasst werden, um immer den aktuellen Herausforderungen zu entsprechen und auch die Motivation hochzuhalten. Hierzu können möglicherweise auch Methoden oder der Format-Mix angepasst werden. Upskilling ist nicht ein Projekt, sondern ein beständiger Prozess.

Was ist Ihrer Erfahrung nach die größte Hürde beim Re- & Upskilling für Unternehmen?

Meiner Erfahrung nach gibt es drei zentrale Hürden: 

  • Kaum Durchhaltevermögen – Die Weiterbildung und Umschulung von Personal ist keine Kleinigkeit und ein langer Prozess. Viele Unternehmen unterschätzen die Relevanz von Re- und Upskilling-Programm und überschätzen ihre eigen Wandlungsfähigkeit. Der Weg lohnt sich.
  • Keine Investitionsbereitschaft – Ein ernstgemeintes Re- und Upskilling Programm kostet Geld und Nerven. Und dennoch sind diese Projekte ein echter Business Case. Denn Headhunter kosten auch Geld. Und der Markt mancher Profile ist leergefegt, sodass der vermeintlich einfachere Weg, wie so oft, nicht der beste ist.
  • Schlechte Führung – Wer das Lernen im Unternehmen losgelöst und wie ein zeitlich begrenztes Projekt behandelt und das „Warum“ dahinter nicht beantworten kann, fällt sehr sicher auf die Nase. Führungskräfte müssen das Programm selbst durchlaufen, präsent sein und für entsprechende Rahmenbedingungen sorgen. Das Programm darf nicht als Mehrarbeit wahrgenommen werden. 
Wenn schlechte Führung eine Hürde ist, was braucht die Führung dann? Was macht für Sie gute Führung in dem Kontext aus, damit das Lernen im Unternehmen gelingen kann?

Gute Führung macht aus meiner Sicht Authentizität aus und dass man auch als Role Model fungiert. Als Führungskraft beim Lernen vorwegzugehen, es ernst zu meinen und zu vermitteln: „Wir machen das zusammen, weil wir uns auf einer gemeinsamen Reise befinden.“ Denn am Ende muss sich jeder entwickeln – vom Pförtner bis zum CEO. Jede und jeder muss neue Fähigkeiten aufbauen und sich immer wieder neu fordern – wie im Leben auch. Der zentrale Unterschied: Im Alltag ist das Lernen ein unbewusster Prozess. Im Beruf muss das Lernen daher noch mehr vorgelebt werden.

Gibt es noch etwas, das Sie Unternehmen für ein erfolgreiches Re- und Upskilling raten können?

Re- und Upskilling dürfen nicht alleinstehen, sondern müssen immer Teil der Unternehmensstrategie sein. Und dann braucht es die richtigen Rahmenbedingungen, in denen die Menschen auch an die Hand genommen werden, gleichzeitig aber genug Freiraum haben, um sich entwickeln zu können. Kollaboration und kollaborative Führung sind hier das Gebot der Stunde. Die Leute möchten mitgenommen werden, wollen, dass man ihnen zuhört und sie mitentscheiden können. Oder auch, dass sie den für sich richtigen Lernweg wählen können – Stichwort Formatmix. Und da wünsche ich Unternehmen den Mut, mehr zu kollaborieren und Dinge auszuprobieren. Re- und Upskilling Programme können zum echten Game Changer werden. Wenn man es richtig macht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Über Sebastian Holtze

Sebastian Holtze ist Director im Geschäftsbereich People & Organisation bei PwC und Geschäftsführer der Digital Business University in Berlin. Er ist Experte für Digitalisierung, Innovationsmanagement, Workforce Transformation und New work.

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